Es gibt Pläne, deren Wesen in ihrer theoretischen Notwendigkeit liegt. Oder anders: Gut, sie in der Schublade und alles entsprechend arrangiert zu haben; besser, wenn sie nie zur Anwendung kommen. Wie beim Rettungswegeplan des Golf-Club An der Pinnau, dem in diesem Corona-Herbst zum zweiten Mal nach 2017 der Goldstandard des Umwelt- und Qualitätsmanagement-Programms Golf&Natur bescheinigt wurde, das der DGV 2008 aufgelegt hat. Das erfolgreiche Re-Audit fand am 27. Oktober 2020 statt.
Rettungspunkte werden eingerichtet, Zufahrten angelegt, ein Helikopterlandeplatz ausgewiesen; per QR-Code auf eigens aufgestellter Beschilderung oder auf jeder Abschlagtafel lässt sich zu jeder Zeit der eigene Standort ermitteln und an die ebenfalls aufgeführten Notfallnummern durchgeben, in den Einsatzzentralen von Polizei und Feuerwehr liegt der Plan selbstverständlich genauso vor: „All das kann Leben retten – erst recht, wenn es schnell gehen muss“, verdeutlicht Platzobmann und Vorstandsmitglied Alexander Schütt, der gerade wenige Wochen im Amt war und die anstehende Re-Zertifizierung in Windeseile vorbereitet hat.
Übrigens tatkräftig unterstützt von der Damen-Doppelspitze Brigitta Wurnig (1. Vorsitzende) und Magdalena Overmann (2. Vorsitzende/Spielführerin), die seit der Vorstandswahl Ende August 2020 als erstes weibliches Führungsduo der DGV-Historie einem deutschen Golfverein vorstehen. Das freilich ist eine andere Geschichte.
Jedenfalls hat „die Pinnau“, wie sie im Club gern sagen, mit dem Rettungswegeplan-Konzept beim vom DGV entsandten Auditor Dr. Gunther Hardt ordentlich gepunktet. Zur Saison 2021 soll es mit der entsprechenden Kommunikation gegenüber den Mitgliedern eingeführt werden, damit der Plan im Ernstfall wirklich greift.
Daran zeigt sich, dass die mit dem Bundesamt für Naturschutz begründete und zum Qualitätsmanagement-Tool weiterentwickelte „praxisnahe Anleitung für die ordnungsgemäße, umweltbewusste und nachhaltige Betriebsführung von Golfanlagen“ eben nicht nur auf Bienchen und Blümchen zielt. Wenngleich der Titel des Stufenzertifikats in Bronze, Silber und Gold diesen Eindruck erweckt. Dr. Hardt bewertet neben ökologischen Besonderheiten gleichermaßen Umweltmanagement, Infrastruktur, Pflegekonzept, Arbeitssicherheit, Spielbetrieb oder etwa die Öffentlichkeitsarbeit.
Ohnehin darf der ökologische Aspekt einer Golfanlage nicht auf ein paar putzige Rehe fokussieren. Die hat es auf den 100 Hektar des Golfclubs in der holsteinischen Knick-Landschaft mit offenem Baumbestand eh. Zudem Eisvogel, Zwergtaucher oder Bachstelze. Aber, wendet Schütt ein, der als Geowissenschaftler von Berufs wegen Expertise für seine ehrenamtliche Vorstandstätigkeit mitbringt und den die Clubchefin „unser grünes Gewissen“ nennt: „Es ist gut und schön, einen Storch oder einen Eisvogel präsentieren zu können – die werden sich allerdings schnell wieder verziehen, wenn es keine Frösche oder Insekten als Nahrungsgrundlage gibt. Daher ist es viel wichtiger, auf die Prozesse zu achten, die in einem Naturraum ablaufen.“ Will heißen: Die Mikro-Ökosysteme müssen stimmen. „Magerrasenflächen, Feuchtwiesen, Obstbaumwiesen, Waldstücke, Totholz und so weiter“, zählt Schütt auf. „Wir müssen es schaffen, dass wir eine biodiverse Fauna und Flora deswegen auf unserem Golfplatz haben, weil wir die nachhaltigen Bedingungen schaffen, damit Tiere und Pflanzen sich dauerhaft bei uns ansiedeln. Wenn wir das richtig machen, strotzt der Platz nur so vor Nischen, in denen sich die Natur ausbreiten kann.“
Ein wesentlicher Faktor in den Planspielen ist Head-Greenkeeper Jörn Stratmann, der die Anfang der 1980er-Jahre auf ehemaligem Ackerland entstandene Anlage seit 30 Jahren mit unermüdlichem Engagement in den heutigen Top-Zustand hochgepäppelt hat und sich laut Geschäftsführer Daniel Schlüter einen wesentlichen Teil vom wiederholten DGV-Goldglanz als Verdienst an die Brust heften darf: „Man muss sich täglich mit ,Golf&Natur‘ beschäftigen, die Dinge mit Bedacht fortführen. Doch es fängt beim Verständnis der Greenkeeper an.“
Die neue Führungsmannschaft an der Pinnau hat sich ein ambitioniertes Lastenheft geschrieben. „Wir wollen das Goldsiegel leben, ein Aushängeschild sein, was die Verantwortung gegenüber der Natur betrifft“, betonen Wurnig und Schütt unisono. Das wird von den Mitgliedern getragen, die bei einer Befragung in breiter Beteiligung dem Natur- und Umweltschutz sehr hohe Priorität eingeräumt haben.
Darauf lässt sich bauen. Nach dem erfolgreich absolvierten Audit hat sich Alexander Schütt indes erst mal vorgenommen, den rund 1.300 Golferinnen und Golfern des Clubs die neue Struktur der Abschläge mit jeweils fünf Tee-Boxen für alle Spielstärken nahezubringen.
„Wir müssen weg vom Gender-Denken bei den Abschlägen“, spricht er einen sinnvollen Trend zur Staffelung nach Distanzen an, der weltweit im Gang und nicht mehr geschlechtsspezifisch ist, sondern Schlaglängen und Fertigkeiten berücksichtigt: „Die Nutzung eines Abschlags und damit einer Platzlänge, die zu den eigenen Fertigkeiten passt, erhöht den Spaßfaktor und die Spielgeschwindigkeit.“ Außerdem reduziere sich die Pflegeintensität, „wenn sich die Aktiven auf fünf Abschläge verteilen“.
Parallel ist der neue Internetauftritt in Arbeit und eine Broschüre, „mit der wir uns als Club ,outen‘ wollen, der für Naturschutz, Artenvielfalt und Biodiversität steht, und die den Kontakt mit den entsprechenden Verbänden unterstützen soll“, erklärt Schütt.
Kommunikation wird groß geschrieben an der Pinnau, wo sich im Corona-Jahr 2020 über 220 Neuzugänge eingeschrieben haben – nicht zuletzt dank intensiven Marketings oder eines spontan organisierten Tags der offenen Tür. „Wir sind in der Planung für die kommenden zwei Jahre und überlegen, wie wir das Thema Natur weiter nach vorn bringen und innerhalb des Clubs vermitteln. Informationen über Maßnahmen, Aktionen etc. für unsere Mitglieder sind uns sehr wichtig“, betont Brigitta Wurnig: „Ein Golfplatz ist eben mehr als nur grüne Wiese.“
Zu den langfristigen Zielen zählen der vollständige Verzicht auf Pflanzenschutzmittel, eine autarke Bewässerung über Regenwasser-Rückhaltebecken sowie die Umstellung aller Betriebsfahrzeuge auf Elektrotechnik. Und dann ist da – apropos Kontakt zu den Naturschutzbehörden, apropos Pinnau – eine ganz besondere Vision.
Der Nebenfluss der Elbe zieht sich nahezu kanalisiert an der Grenze des Golfplatzes entlang: „Er könnte im nordwestlichen Teil auch über die Anlage mäandern, mit Flachwasserbereichen, Steinen und Baumstämmen, um die Fließgeschwindigkeit zu reduzierten und so zu einem neuen Zuhause für Tiere und Pflanzenarten zu werden“, sinniert Alexander Schütt und meint nichts anderes als eine wenigstens partielle Renaturierung der Pinnau.
Noch ist es Zukunftsmusik, gleichwohl nicht ganz uneigennützig gedacht. „Unser ökologisches Konzept basiert sicher auf persönlichem Idealismus, ist aber ebenso ein strategischer Idealismus“, sagt Brigitta Wurnig. „Wir sprechen in unserer Kommunikation und beim Werben um weitere Mitglieder schließlich eine Generation an, für die Natur wichtig ist.“